Bojdek-Chomez (Deutsch)

 

Die Verbrennung des Gesäuerten

Der Pessach-Vorabend rückt immer näher. Das ganze Haus ist in Aufruhr, sogar die Luft zittert.

«Hast du dort gefegt? Dort in der Ecke! Und staube die Regale gut ab. Da sind Pessach-Handtücher.»

Chawa treibt jeden an, dessen sie habhaft werden kann.

«Du, Sascha», ruft sie unserem christlichen Dienstmädchen zu, «geh mit deinem Gesäuerten zum Teufel! Trag es in den Keller, dort kannst du mit Iwan essen.»

Chawa sucht die letzten Gefäße mit Gesäuertem zusammen und bugsiert sie alle in einen finsteren Schrank. All das benützt sie das ganze Jahr, jetzt will sie es nicht mehr sehen, stößt es beinahe mit den Füßen weg. Plötzlich bleibt sie verwirrt stehen: sie hat auf dem schwarzen Blech, auf dem sie Kuchen und Plätzchen bäckt, ein Restehen Mehl entdeckt.

«Wo ist dein Vater? Wenn er da wäre, würde er auch dieses bißchen Mehl verbrennen.»

Sie schiebt das Blech in den Schrank, damit es ihr nicht mehr vor die Augen komme. Jetzt zerkratzt sie sich die Hände, denn siehe da, auf dem Reibeisen sind gelblich gewordene Stückchen Rettich hängengeblieben.

«Eine Strafe, dieses Gesäuerte! Man wird nicht fertig damit. Kinder, der Lehrer hat euch doch befohlen, eure Taschen umzudrehen. Worauf wartet ihr denn? Bald wird der Vater kommen und das Gesäuerte verbrennen.»

Chawa durchsucht eigenhändig alle Taschen.

«Au! Kitzeln Sie mich nicht! Mit Ihrer Jagd nach Gesäuertem zerreißen Sie mir noch die ganze Tasche!»
Es ist nicht leicht, in einem Augenblick alle Taschen zu säubern. Während des ganzen Jahres haben wir alles hineingesteckt, was wir nur finden konnten, sei es im Haus oder auf der Straße. Jetzt passen meine Brüder auf, in wessen Taschen sich die meisten Krumen angesammelt haben.

«Still, Vater kommt!» Schnell werden die Taschen wieder umgedreht.

Vater kommt, um das Gesäuerte zu verbrennen. Chawas Herz beruhigt sich. Vaters Gesicht ist so ernst, als sei im Haus etwas verlorengegangen, das er suchen muß.

Sein schwarzer Hut wirft einen Schatten auf ihn. Man reicht ihm eine brennende Kerze. Die Flamme beleuchtet sein blaßes Gesicht.

«Habt ihr einen Staubwedel?» fragt er leise.

Alle Kinder folgen ihm stumm. Man hört uns alle atmen. Vater, die Kerze und den Staubwedel in der einen Hand, einen Holzlöffel in der anderen, untersucht die Fensterbänke, alle Winkel, alle Fächer, obwohl sie eben erst abgewaschen wurden. Er durchstöbert sogar den Bücherschrank, sucht unter den Talmud-Folianten, sucht überall, als wolle man etwas vor ihm verbergen. Plötzlich entdeckt er ein paar Krümchen Gesäuertes, das allem Wischen und Putzen zum Trotz in einer Ecke liegengeblieben ist. Oder hat Chawa es absichtlich hingelegt, damit Vater nicht zu lange suchen muß?

Seine Augen blitzen auf, zugleich mit dem Licht, als hätte er einen Schatz gefunden. Vater sammelt alle gefundenen Krumen in ein Stück Papier und trägt sie vor sich her wie ein Opfer, direkt zum brennenden Ofen. Das Feuer stürzt sich auf das kleine Päckchen, und Vaters Augen flammen mit dem Feuer auf, das die Krümchen verzehrt.

«Gott sei Dank!» sagt Chawa mit einem Stoßseufzer. «Wir werden ein koscheres Pessachfest feiern.»

Quelle: Bella Chagall, Brennende Lichter, Verlag Rowohlt, 1967